Lieber Buko,
du hast unverkennbar erhebliche Erfahrung beim Umgang mit einer prinzipiell (also von wenigen Teilbereichen abgesehen) klassischen Einmessung, setzst aber auch genau diese Erfahrung beim Adressaten deiner Hinweise voraus, ohne dass dir das offensichtlich so bewusst ist, wie das dem Nahcahmer bewusst wird, wenn er drangeht. Für ihn sind deine zutreffenden(!) 'Zulässigkeitsabschätzungen' oft nicht möglich, weil es ihm ganz elementar an Erfahrung, Ein- und Umsicht fehlt. Ich möchte deshalb deine Aussagen mit ein wenig 'Streiflicht' relativieren; generell ist nämlich nicht zu stänkern, zumal du selbst -wie gesagt- die Grenzen deines Verfahrens genau abschätzst, dies aber nicht genauer beschreibst.
Du sagst nicht, wozu du deinen Zweikanaloskar brauchst: Für die Spaltsenkrechtstellung ist ein X/Y-Oszilloskop mit identischer Empfindlichkeit auf Y- und X-Kanal und möglichst identischem Phasenverhalten der beiden Verstärker geeigneter, als die Abschätzung zweier zappelig überlagerter Schirmbilder. Zweikanaler können das fast zwar fast durchwegs, Einkanaler aber zumeist (= fast immer) auch.
Vor einem selbst gebauten Bezugsband habe ich weniger Angst als Jürgen, unserem Forenmaster, mit dem ich eben sprach. Nur wird das Problem sein, an eine Maschine heranzukommen, von der man sicher weiß, dass sie solide eingemessen ist. Sobald man sich da sicher sein kann, stehen nämlich ebendort Bezugsband und kenntnisgeladener Nutzer wenigstens namentlich und ggflls. auf vereinbarten Abruf bereit, so dass der problemlose Ablauf der großzügigen Einmessung schon haarscharf an einer offiziellen vorbeischrammt. Hier ist deine größte Klippe. Außerdem würde ich die Töne -20 dB bei der Wiedergabe auf dem 'Messling' nicht auf "maximalem Pegel", sondern auf einwandfreie Phasenlage(hinweis auf die Gefahr der Wahl eines falschen Maximums geht mir ab) und dann Linearität abgleichen. Dafür sollte man aber in der Tat wissen, wo im Gerätevorleben gekurbelt wurde, was oft nicht einfach zu diagnostizieren ist, denn es beschränkt sich dies ja erfahrungsgemäß keineswegs auf die Spaltsenkrechtstellung allein. Hier Land abzusehen, kostet dann oftmals einen kenntnisgeladenen Blick in die Schaltung oder eine Messwertübersicht.
Deine Hinweise auf die Zurückhaltung bei intakten Werkseinstellungen finde ich sehr beherzigenswert, es passiert da tatsächlich zuviel mit unerfreulich bleibenden Folgen. Andererseits steht dem die offensichtliche Praxis bei Studer entgegen, Kopfträger auf eigenen Justageaggregaten einzustellen, so dass die so justierten Kopfträger auf den vor uns stehenden 'Realmaschinen', auf die sie nurmehr aufgeschraubt wurden, ab Werk zwar immer gute, praktisch nie aber perfekte Spaltsenkrechtstellungen aufweisen.
Übrigens setzt du auch voraus, dass der Liebhaber die zur zur Spaltsenkrechtstellung gehörige Schraube zielsicher identifiziert. Diese Identifikation ist geräteabhängig nicht immer leicht möglich.
Die Spaltsenkrechtstellung bei 315 Hz ist von sehr begrenzter Genauigkeit, oft allerdings geben die Kopfträgereigenschaften (namentlich bei Cassettenrecordern) nicht viel mehr her: Du kannst da sichtlich tolerables von weniger tolerablem Geräteverhalten unterscheiden. Bei deinem Adressaten habe ich da aufgrund meiner Erfahrungen mit solcherart Klientel bereits Fragen; und dabei gehöre ich ja auch zu denen, die auf die Notwendigkeit des Erwerbes deiner Kompetenzen immer hingewiesen haben und hinweisen (werden).
Deine Angabe zur Pegelanzeige gilt nur für solche Geräte, die das VU-Meter auch im Wiedergabezweig betreiben können. A77 und Vorgänger kannten das nicht, was sich als ebenfalls zentrale Klippe deines Verfahrens erweist; insbesondere dann, wenn der Wiedergabeteil durch ein externes "Volume-Pot" nicht oder nicht eindeutig genug kalibrierbar ist. Du weißt dir in solchen Fällen zweifellos zu helfen, ja solche Umstände sogar zu für dich nützen; der Liebhaber, der den gesamten Einmessprozess nicht annähernd so in der Hand hat wie du, kommt leicht in Probleme.
Leider ist auch die VU-Meter-Genauigkeit in der Gleichrichtung (abweichend von der an sich sehr engen ASA-Norm!) oft schlecht, einmal abgesehen davon, dass bei -20 auch die Ablesegenauigkeit und das prinzipielle Verhalten des Messwerks nahe dem linken Skalenende mäßig sind.
Zur Lacksicherung der Tonkopfschrauben habe ich eine differenzierte Beziehung, weil diesbezüglich 'allzu sorgfältige Arbeit' mitunter den Keim einer kritischen Beschädigung legt. Ich würde die im professionellen Bereich übrigens unübliche Lackung nur dann erwägen, wenn konstruktionsbedingt sichtlich Potenzial für die 'Selbstverstellung' besteht.
Der Abgleich mit einem heute allerdings oftmals unterdrückten weißen Zwischensenderrauschen geht ganz gut, weshalb dagegen nichts einzuwenden ist, wenn keine konsequenten Ansprüche bestehen, was du wiederum ja auch in deinen beiden Schlussabschnitten selbst betonst.
Übrigens ist die Höhenaussteuerbarkeit nicht Teil der Dynamik (also des Bereiches zwischen höchstem und geringstem nutzbarem Pegel bei 1000 oder 315 Hz), sondern der Höhendynamik. Auch der Bezug fallender Bandgeschwindigkeiten zu nach den Höhen hin begrenzter Bandbreite behagt mir nicht so ganz, doch geht es darum hier ja nicht. Wer als Interessent am System den Engel, Schallspeicherung auf Magnetband. Leverkusen 1975 gelesen hat, kommt auch mit dieser von dir verkürzten Formulierung zurecht.
Dein Test ist hilfreich, gerät für den, der weiß, worum es geht, sogar in die Nähe einer richtigen Einmessung. Inwieweit der Liebhaber, den du ansprichst, hier aber erfolgreich durchkommt, wird vom individuellen Gerät und nicht zuletzt seiner Geschichte in den letzten 15 bis 30 Jahren abhängen.
Dein Hinweis auf eine CD oder ein Copmputerprogramm als Tongeneratorersatz ist indes sehr nützlich und kann durch die Allgegenwart solcher Geräte heute oft aus 'örtlichen Engpässen' heraushelfen.
Dir wird man von Liebhaberseite denselben 'Vorwurf' wie mir machen (können): Mit deinem Fachwissen erfolgreich durchzukommen, ist nicht schwierig. Man macht sich, fachlich in gewisser Weise vorgepolt, ja keine Vorstellung davon, mit welch linken Händen ein Amateur (von amare, lieben!) begabt ist, die er erst mit einer vernünftigen Peripherie auf offiziellem Wege abbuaen muss, um anm Ende dann in erfolgreich in deine Vereinfachung (in Notfgällen) eintreten zu können. Der Weg verläuft also vom 'offiziellen' Verfahren zum inoffiziellen und nicht etwa umgekehrt.
Betrachte meine Äußerung bitte nicht als Beckmesserei; nihts liegt mir ferner als das, denn deine Peilung in der Sache ist klar, und dein berechtigtes Anliegen ist es auch. Insofern sind deine Hinweise gerade auch für die immer wieder auftauchenden Notfälle hilfreich, am Durchblick kommt man aber nicht vorbei.
Hans-Joachim