Liebe Mitleser, Mit- Foranten, -Diskuonkels und -tanten,
vor einiger Zeit versprach ich, mich bei Guido Besimo, dem Konstrukteur der A77 (und einiger anderer legendärer 'Studer-Altlasten'), nach der 'Kondensatorlageanomalie' auf dem Eingangsverstärkerprint 1.077.700 (C404 auf der Rück-, C424 auf der Vorderseite der Platine) und den Überlegungen hinter der Dimensionierung des 1600-µ-Kondensators (C803, Wechselspannungsverstärkungsfaktor) im Vorverstärker des Wiedergabeverstärkers 1.077.720 zu erkundigen. Das ist leider erst jetzt erfolgt, weil sich Guido als Endsiebziger vor eingen Wochen einer an sich erfolgreichen Hüftgelenksoperation unterziehen musste, deren nicht nur reguläre Begleiterscheinungen aber ihn (nebst Frau) bislang immer noch belasten. Es dauerte also, bis ich mit ihm wieder zusammentreffen konnte.
Natürlich kamen auf meine Fragen die ersehnten Antworten:
So erwähnte Guido lächelnd, dass er die Bauteile der beiden Kanäle auf der Eingangsverstärkerplatine "als so eine Spielerei" habe spiegelsymmetrisch "anordnen müssen", was möglicherweise zu einer unangenehmen Begleiterscheinung geführt habe. Es zeigte sich nämlich bei der messtechnischen Überprüfung der A77-Prototypen, dass der auf Trafo- und Motoreinstreuungen zurückzuführende Restbrumm am Ausgang der Eingangsstufe (in Mikrofonempfindlichkeit) auf beiden Kanälen so unterschiedlich war, dass man die Ursache herausfinden wollte. Sie isolierte man in der Lage des zur Wechselspannungsverstärkungseinstellung über geschaltete Widerstände führenden Kondensators C404, der innerhalb der internen Magnetfelder der A77 im Gegensatz zum C424 des rechten Kanals so ungünstig lag, dass der Einstreuungspegel erhöht war. Nachdem einerseits keine Zeit mehr erübrigt werden konnte, die gesamte, sehr überlegte Anordnung der Elektronik innerhalb der A77 zu überarbeiten, änderte man die Lage des Kondensators innerhalb der internen Magnetfelder eben einfach auf der Platine.
Die Bruttoentstehungszeit der A77 lag ja zwischen der Entscheidung "Wir machen so etwas!" und der Vorstellung des fertigen Gerätes ab Fließband bei kaum vorstellbar kurzen 11 Monaten. "So etwas haben wir nie mehr wieder geschafft!", sagte Margrit Meyer, Guido Besimos Frau. Andererseits wurden damals die Prints noch vollständig von Hand bestückt, so dass die Entscheidung, den Kondensator C404 auf die Platinenrückseite zu verlegen, wirtschaftlich zu vertreten war.
Diejenigen unter uns, die den C404 auf 1.077.700 auf die Platinenvorderseite verlegt haben, sind nachzumessen eingeladen, ob der Brumm ihres Eingangsverstärkers im linken Kanal höher ist als im rechten.
Beim 1600-µ-Kondensator des Wiedergabeverstärkers, dessen Konzept in der A77 ja mehrfach wiederkehrt, liegt die Sache etwas anders. Einerseits war man versucht, den Kondensator, der natürlich eine Hochpasscharakteristik im Tiefsttonbereich in die Schaltung trägt, so groß zu machen wie sinnvoll möglich, andererseits ihn nicht zu groß werden zu lassen, weil das zu den hier bereits diskutierten Instabilitäten bei impulsartigen Störungen/Signalen führen kann, die keineswegs nur dem Nutzsignal angehören müssen. Schließlich war durch die sehr bewusst gewählte Steckkartenanordnung der A77-Elektronik eine Bauteilgröße gegeben, bei der man unter diesen Voraussetzungen das damals passende Rastermaß hinsichtlich der Elkokapazität 'ausreizen' wollte. Der Kapazitätsmittelwert im Rahmen der Wertestreuung der damals für den Einbau vorgesehenen Frakos (+100/-50 %) bewegte sich um 1600 µ, die damit als etwas schräger Wert die angesprochenen, letzten Endes damals "beim Schdud'r" aber nicht eindeutig in eine Richtung entschiedenen Überlegungen direkt ausdrücken.
Derjenige der heute 2200 µ einbaut, hat also ebenso Recht wie derjenige, der sich heute für 1500 µ entscheidet. Der 2200µ-LIebhaber muss mit Instabilitäten rechnen, der 1500er mit einem minimal veränderten Tiefenfrequenzgang.
Nachdem meine Abfragen Guidos -einmal wieder- glänzend liefen ("ein Mann wie die A77"), fragte ich auch gleich nach, auf welchem Wege die Tonmotorsteuerungsplatine ihren endgültigen, etwas abgelegenen, der Konstruktionsidee der wirklich aufgeräumten A77 weniger gemäßen Ort fand: Man suchte nach einer für die elektrisch-elektronischen und fertigungstaktischen Ansprüche halbwegs akzeptablen 'Aufbewahrungsort' und fand diesen eben am Trafo. Dieser Ort ist also als einer der vielen glücklichen, 'klimatisch bedingten' Zufälle bei Studer weniger gemacht, als gefunden oder eben ziemlich zufällig entstanden. Nicht mehr und nicht weniger.
Die Leute "beim Schdud'r" waren allzuoft wie ihre Geräte, und Guido Besimo ist einer von ihnen. Bei der Beschäftigung mit den Hintergründen dieser weiß Gott eigentümlichen und erfolgreichen Firma (groß genug um kritische Massen zu überschreiten, klein genug, um unternehmenspolitisch-betriebswirtschaftlich auch dem Außenstehenden im Nachhinein einen halbwegs zutreffenden Überblick zu ermöglichen) treten derart viele interessante Details in positiver und fragwürdiger Hinsicht zutage, dass man über die aktuellen, auf ihre Weise 'legendär erfolgreichen' (hüstel) betriebswirtschaftlich-unternehmenspolitischen und unternehmenssoziologischen Moden unter unseren heutigen 'Unternehmensverdrahtern' zur Entstehung, Herstellung und Vermarktung von Produkten nur den Kopf schütteln kann.
Hans-Joachim